Prof. Frank Piller

Innovation 4.0: Warum Industrie 4.0 und Smarte Produkte & Systeme ein neues Innovationssystem erfordern

Ingenieure sind mit dem Thema Industrie 4.0 oft vertraut. Wir denken dann an Sensorik, Automatisierungstechnik mit dem Cloud-Turbolader und Machine Learning.

Prof. Dr. Frank Piller näherte sich dem Thema aber aus einen unerwarteten Blickwinkel.  Als Betriebswirt und Innovationsforscher stellt er das „Ökosystem“ um eine technische Lösung ins Zentrum seiner Überlegungen.

Ein „smarter“ Schnuller wie das Produkt von Pacif-iTM  ist erst mal nur ein Bluetooth-Enabled Device mit einigen Sensoren. Der Mehrwert entsteht erst dadurch, dass die technisch verfügbaren Messwerte durch „Apps“ in sinnvoll nutzbare Use-Cases übersetzt werden. Dabei stellt der Hardware-Hersteller die Schnittstellen auch für andere Anwendungsentwickler zur Verfügung und kann damit von der Kreativität von vielen Köpfen profitieren.

Für den Endkunden ist es dann völlig irrelevant, dass es sich hier um digitalisierte Industrie 4.0 mit Sensor A, B und C handelt, der Nutzen ist ein besseres Gefühl und (hoffentlich) ein glückliches Baby.

Um die Hardware herum kann so ein offenes Ökosystem entstehen, das aber auch wieder besondere Herausforderungen für traditionelle Hersteller stellt.

So hat adidas schon vor etlichen Jahren einen „Smart Shoe“ als technologischen Showcase gebaut. Damals litt das Produkt daran, dass der Energieverbrauch der aktiven Komponenten recht hoch war. An eine externe Konnektivität war aus Energiegründen nicht zu denken. Die Bedienung erforderte zu viel Spezialwissen und der fühlbare Mehrwert für den Nutzer war begrenzt.

Mit der heute verfügbaren Technologie sind Sensoren deutlich kleiner, benötigen weniger Energie und die Verbindung zum allgegenwärtigen Smartphone ist problemlos machbar.

Damit können viele Daten über den Schuh, seinen Träger und die Nutzung gesammelt werden. Doch was mit den Daten machen? Welche Funktionen brauchen wir jetzt, welche werden vielleicht erst später „freigeschaltet“?

Die Messdaten können zum Beispiel dafür genutzt werden, den Laufstil des Trägers in einer Genauigkeit zu analysieren, wie es mit den klassischen Methoden kaum möglich ist. Auf der Basis dieser Daten kann ein dem Läufer genau angepasster Schuh in Losgröße 1 gefertigt werden.

Diese Fabriken können auf Grund des hohen Automatisierungsgrades dann auch wieder in Hochlohnländern stehen. Die Fertigung zieht aus Asien zurück nach Deutschland.

Damit kann der Schuhhersteller seine Kundenbindung festigen. Der erste smarte Schuh ist ein näherungsweise passender Schuh „von der Stange“ wie wir es gewöhnt sind. Dieser liefert dann die Daten um den angepassten Individual-Schuh zu fertigen.

Eine zugehörige App kann den Kunden auch aktiv ansprechen und darauf hinweisen: Dein Schuh ist jetzt bald 1.000 km in Benutzung! Eine tolle Leistung! Willst Du nicht das mit einem noch besser passenden Schuh feiern?

Der Unterschied zwischen einem willkommenen Ratschlag, unerwünschter Werbung oder gar Bevormundung durch die Maschine ist oft nur sehr graduell.

Maschinen können oft Fakten-Basierende Entscheidungen besser treffen als Menschen. Viele menschliche Entscheidungen werden von Intuition und hierarchischem Denken beeinflusst. Die HiPPO (Highest Paid Person’s Opinion) gibt oft die Entscheidung unbewusst vor, andere trauen sich dann nicht zu wiedersprechen. Maschinen sind frei von solchen Störgrößen. Dennoch braucht es auch den menschlichen Faktor um auch von Kollegen und Kunden akzeptiert Entscheidungen zu treffen. Eine Bevormundung durch einen Algorithmus führt dazu, dass Kunden dieses Produkt nicht aktiv einsetzen werden.

Offene Schnittstellen und konfigurierbare Eigenschaften von Produkten ermöglichen einerseits ein lebendiges Ökosystem. Aus einem Schnuller wird ein Device das unzählige verschieden Formen der Monetarisierung erlaubt. Aus einem Schuh kann ein sich iterativ verbesserndes System werden, aus einer Landmaschine ein Daten-Hub der dem modernen Landwirt mehr Einblicke durch Datenaggregation gibt.

Dabei ist es aber notwendig die Daten von verschiedenen Quellen und Herstellern zu aggregieren, die in Teilmärkten miteinander im Wettbewerb stehen.

Je mehr verschiedene Datenquellen kombiniert werden können, desto bessere Schlüsse kann dann die Plattform daraus ziehen und konkrete Handlungsempfehlungen geben.

Damit geht aber die Kundenbeziehung von den Herstellern der physischen Maschinen auf die Betreiber einer virtuellen Plattform über.

Gerade in der Autoindustrie laufen derzeit viele Initiativen und Projekte um zu vermeiden, dass wir in Zukunft ein „Google“-Car kaufen - egal ob das Blech von Mercedes, Audi oder Skoda kommt.

Die Hürde eine virtuelle Plattform technisch zu bauen sinkt durch die moderne Technologie immer mehr.

Von Kleinstrechnern wie einem Raspberry Pi bis zu von Hyperscale Cloud Rechenzentren ist die Grundlage die für jedermann zu überschaubaren Summen verfügbar.

Der Vorteil großer monolithischer Firmen über Know-How und die finanziellen Mittel zur Umsetzung von Ideen zu verfügen wandelt sich oft in einen Nachteil. Große Firmen sind oft zu komplex und unbeweglich, um gegen ein verteiltes Netzwerk von Menschen, die eine gemeinsame Mission treibt zu bestehen.

Unter dem Hashtag #WeAreNotWaiting hat ein Netzwerk von Diabetes Patienten in den USA eine innovative Lösung für die Insulin-Versorgung nicht in den üblichen 5+ Jahren durch die Zulassungsprozeduren getrieben, sondern in 5 Monaten. Mit dem Wissen von Experten, die in dem Netzwerk mitarbeiten, den Messdaten der Teilnehmer als Ersatz für medizinische Feldstudien gelang dies in Rekordzeit.

Die Herausforderung liegt nicht in der technischen Grundlage, sondern in den Wegen wie Mehrwerte für die Kunden geschaffen und monetarisiert werden können. Wie sollen die zukünftigen Kundenbeziehungen aussehen und wie können die komplexen Ökosysteme gestaltet werden können?

Folgen Sie Frank Piller auf twitter @masscustom oder www.frankpiller.com

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